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Medikamente und Adipositas

Wenn man sich die Diskussionen rund um die medikamentöse Therapie der Adipositas in den vergangenen Monaten so anschaut könnte man als jemand, der schon lange in der Szene aktiv ist ein Deja-Vu haben.

Ungefähr vor 25 Jahren startete in Deutschland ein ähnlicher Hype mit der bariatrischen Chirurgie.

Für eine Gruppe war es der Heilsbringer, für eine andere Gruppe war es Teufelszeugs. So wie heute auch.

Wir hatten motivierte Chirurgen, die durchaus ein Interesse daran hatten, den Menschen mit Adipositas zu helfen. Die gibt es im übrigen immer noch in der Mehrzahl.

Dann wurden die kaufmännischen Abteilungen der Kliniken wach, die das Umsatzpotential entdeckten.

Natürlich auch die Industrie, die entsprechendes OP Gerät an den Mann und manchmal auch Frau bringen wollten.

Am Ende dieser Kette dann die Betroffenen, die ein Magenband wollten. Das war damals Standard. Einige „Verrückte“ liesen sich einen BPD-DS operieren – was ich gerne mit einem „Fallrohr“ im Verdauungstrakt vergleiche. Im Lauf der Jahre haben sich die OP Methoden durchaus geändert.

Auf der anderen Seite waren die Krankenkassen, die – wie soll man es sagen – dem Thema nicht wohlgesonnen gegenüber standen. Ähnlich wie heute.

Die Menschen, die sich einem Eingriff unterzogen, waren schlecht vorbereitet und nicht nachbetreut. Im übrigen war dies die Geburtsstunde der Adipositas Selbsthilfe in Deutschland. Irgendjemand musste den Betroffenen Raum zum Austausch und Hilfe geben.

Die Kostenübernahmen für die Operationen waren lange ein Kampf. Den Betroffenen wurden hohe Hürden gesetzt und man hatte das Gefühl einer Verweigerungshaltung seitens der Kostenträger. Zahlreiche Betroffene haben die Eingriffe selbst bezahlt.

Viele Gerichtsverfahren von unter anderem Tim C. Werner und Steffen Wündisch-Nickel geführt haben hier Besserung gebracht.

Bei der plastischen Chirurgie zur Wiederherstellung der Körperformen nach extremer Gewichtsabnahme ist noch immer ein Kampf. Mehrjährige Verfahren vor dem Sozialgericht sind schon fast die Regel.

In den S3 Leitlinien zur bariatrischen und metabolischen Chirurgie wurde schon recht früh vermerkt, dass im Vorfeld eines Eingriffs eine konservative Therapie durchgeführt werden soll.

Diese wird im übrigen nicht von den Krankenkassen erstattet. Also meistens. Manchmal hat man auch Glück und es gibt Selektivverträge.

Sag mir wo Du wohnst und bei wem Du versichert bist und ich sage Dir wie Du versorgt wirst.

Die Langzeitversorgung nach einem Eingriff ist auch nicht geregelt. Das Innovationsfondsprojekt ACHT der Deutsche Stiftung für chronisch Kranke war hier aktuell sehr erfolgreich. Aber im Gesundheitswesen dauert es eben ein paar Jahre bis etwas in die Versorgung kommt. Wenn es denn kommt.

Ähnliches kennen wir ja aus DMP, die bisher nicht in der Versorgung angekommen sind.

Jetzt aber zu den Medikamenten

Einen ähnlichen Hype sehen wir aktuell wenn es um die medikamentöse Therapie der Adipositas geht.

Wenn ich „Abnehmspritze“ lese oder höre, bin ich kurz vor einem Fressanfall, der bei mir durch Stress und Ärger ausgelöst wird.

Wenn man sich die entsprechenden Gruppen in Social Media anschaut oder sich mit Menschen unterhält, die Medikamente nutzen, könnte man den Eindruck gewinnen, dass einfach nur Rezepte herausgegeben werden.

Ich fange kommende Woche mit xxx an. Gibt es da was zu beachten? Sollte ich auch auf Ernährung achten? Hat jemand Tipps für mich?

Ist nur eines der vielen Beispiele. Und dann antworten andere Nutzer. Das geht von „Ja klar“ bis zur Mehrheit, die sagt „Nee bei mir purzeln die Pfunde auch so“.

Wenn ich dann nach Muskulatur frage und ob man denn meint, dass man nur Fett verliert, wird an meist mit großen Augen angeschaut.

An dieser Stelle ein großes Danke an Dr. Johannes Sander der mich vor ein paar Monaten auf das Thema Sarkopenie bei Adipositas angesprochen hatte. Ein häufig verschwiegenes oder vergessenes Thema. BIA Messungen helfen da sehr gut um dies zu überwachen. Es steigert im übrigen auch die Adhärenz bei den Betroffenen. Nur mal als Tipp.

Wer ist so Verantwortungslos?

Und da meine ich nicht die Betroffenen. Ich meine die Personen, die die Rezepte ausstellen? Ist ordentliche Aufklärung zu viel verlangt? Oder sind die „Rezepteschreiber“ selbst nicht aufgeklärt?

Oder kommt gleich wieder jemand mit dem „aufgeklärten und eigenverantwortlichen Patienten“ um die Ecke? Menschen mit Adipositas habe oft so einen langen Leidensweg hinter sich, die greifen nach jedem Strohhalm. Und wenn selbst medizinische Fachpersonal wenig bis keine Ahnung hat …. Ihr wisst was ich meine.

Wenn dann seitens eines Herstellers kommt „Es steht doch in der Fachinfo“, dann kann ich nur entgegnen. Nein. So explizit steht es da NICHT. Bei den Studienergebnissen steht das Setting .. in einem Satz oder so.

Alle Studienergebnisse kommen nur zustande, weil die Betroffenen in einem engen Setting aus Medikament UND konservativer Therapie behandelt wurden.

Mit dem Ausstellen eines Rezeptes ist es nicht getan! Egal wie sehr die Patienten nerven.

Und wer zur Hölle (sorry) schreibt Ozempic Rezepte für Menschen aus, die nicht an Diabetes erkrankt oder diese zur Regelung des Zuckerhaushalts wegen unerklärlicher Dumpings benötigen und befeuert damit noch den Lieferengpass von diesem Medikament? Das geht mir nicht in den Kopf.

Was wir Betroffene lernen sollten

Ist ganz einfach das, dass es keinen Sinn macht eine Therapie zu beginnen, ohne dass wir unseren bisherigen Lebensstil mal analysieren, schauen was wir nach und nach ändern können und uns gegebenfalls Hilfe von Profis holen, die entsprechend qualifiziert sind.

Es wird auf absehbare Zeit nichts geben, was uns dauert hilft ohne dass wir auch etwas in unserem Leben verändern müssen. Betroffene, die viele Jahre nach einer Magen-OP sind, wissen wovon ich rede. Die Adipositas, das Thema Ernährung begleitet uns ein Leben lang.

Was wir (möglicherweise) brauchen

Natürlich eine Änderung des §34 SGB V. Eine wirksame Therapie wird auf Grund eines uralten Gesetzes nicht erstattet. Die Angst vor den Kosten ist zu Hoch. Obwohl alle Wissen, wie hoch der volkswirtschaftliche Schaden durch die Erkrankung Adiposits und den Folgeerkrankungen ist. Ja, der Preis ist aktuell zu hoch. Sobald die Medikamente allerdings in die Regelversorgung kämen, würde der Preis um einiges fallen. Stichwort: Nutzenbewertung. Und die Verhandlungen mit den Kostenträgern.

Ein Setting bzw. eine Vorgabe wie diese Medikamente zum Einsatz kommen dürfen.

  • Festlegung wer diese Medikamente verschreiben darf. Vielleicht Voraussetzungen im Rahmen des DMP oder eine Fortbildung zu dem Thema. (Das wird wahrscheinlich nur ein Wunsch von mir bleiben)
  • Ausführliches Beratungsgespräch mit ordentlicher Anamnese um Kontraindikationen auszuschließen. Auch mögliche psychische Gründe.
  • Einsteuerung in eine konservative Therapie mit zumindest Ernährungsfachkräften und Steigerung der Bewegung. Eventuell eine Patientenschulung als Vorbereitung.
  • Regelmäßige Kontrollgespräche und Untersuchungen.
  • Gerne kann man nach einem gewissen Zeitraum auch das Medikament runterdosieren oder absetzen um zu schauen ob die Lebensstilintervention funktioniert. Wenn nicht, geht es weiter.
  • Alles in einen Datenpool, damit wir Real World Daten haben. Nur so kann man realistische Zahlen erhalten.

Um Himmels Willen .. wer soll das alles bezahlen?

Ich hätte eine pragmatische Lösung.

Zuckersteuer einführen und diese Gelder in die Prävention und Therapie der Adipositas packen.

Wenn wir die Adipositas wirksam bekämpfen und frühzeitig therapieren, verhindern wir Millionen von Folgeerkrankten, Therapien, EU-Rentnern usw., was im Angesicht des Fachkräftemangels vielleicht auch nicht uninteressant ist.

Gerade wenn man bedenkt, dass Herz-Kreislauf Erkrankungen die Todesursache Nummer 1 sind, müsste man auch auf die Ursachen schauen. Das macht übrigens z.B. Im Puls. Think Tank Herz-Kreislauf e.V.. Bei allem über das wir sprechen kommen wir sehr häufig zu dem Punkt Ernährung und Prävention.

Ihr sucht qualifizierte Hilfe? Hier gibt es Infos

Wie ist Eure Meinung dazu? Einfach verschreiben oder medizinisch, fachlich begleitet?

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